Halbfreier Aquifer (Neuman 1975)

Der halbfreie Aquifer ist aus mindestens zwei Schichten aufgebaut. Eine Schicht mit der Mächtigkeit M und der Transmissivität T wird von einer etwas geringer durchlässigeren Schicht überlagert. Beide Schichten sind zunächst grundwassererfüllt und die obere Begrenzung des Aquifers wird in der oberen Schicht durch die dort ungespannte Grundwasseroberfläche gebildet. In der tieferen Schicht ist das Grundwasser zunächst gespannt (S ≈ 10‑4). Mit zunehmender Absenkung entleert sich die obere Schicht und in der unteren Schicht stellt sich eine ungespannte Grundwasseroberfläche ein (S = nf ≈ 10‑2 bis 10-1).

Somit ändert sich während des Pumpversuches der Speicherkoeffizient in Abhängigkeit der Absenkung. Mit Zunahme des Speicherkoeffizienten (gespannt → ungespannt) verschiebt sich die Absenkungskurve parallel zur Zeit-Achse nach rechts, so dass sich während einer Übergangsphase ein „pseudo­stationärer“ Zustand einstellt, bei dem die Absenkung angenähert konstant bleibt. Vorher und nachher verhält sich die Absenkung entsprechend eines gespannten beziehungsweise ungespannten Aquifers.

Dieser Effekt wird auch als verzögerte Entleerung oder verzögerte Reaktion der Grundwasseroberfläche bezeichnet. Diese Verzögerung wird ausschließlich durch die Änderung des Speicherkoeffizienten verursacht. Der Einfluss einer ungesättigten Sickerströmung kann vernachlässigt werden.

Beim halbfreien Aquifer wird deutlich, dass der Speicherkoeffizient allgemein kein konstanter Parameter ist wie beispielsweise der Durchlässigkeitsbeiwert, sondern in Abhängigkeit der Grundwasserhöhe steht. Zwei Speicherkoeffizienten werden unterschieden, S und Sy, wobei der zweite Speicherkoeffizient im Idealfall gleich der effektiven Porosität ist und daher im Englischen als „specific yield“ bezeichnet wird.

Die Absenkungskurve gliedert sich in drei Phasen

1. Phase: Die Absenkung verhält sich wie ein gespannter Aquifer (Auswer­tung nach Theis oder Neuman, Bestimmung von T, S). Diese Phase wird allgemein nur in den ersten Minuten gemessen. Ist der Radius Messstelle-Brunnen groß, wird sie überhaupt nicht beobachtet.

2. Phase: Es stellt sich für eine paar Minuten bis ein paar Stunden ein pseudostationärer Zustand ein (Auswertung nach Neuman, Bestimmung der Anisotropie kfv/kfh).

3. Phase: Die Absenkung verhält sich wie ein ungespannter oder gegebenenfalls „weniger gespannter“ Aquifer (Auswertung nach Theis oder Neuman, Bestimmung von T und Sy). Häufig ist die erste oder zweite Phase nicht deutlich ausgebildet, so dass unbemerkt nur die dritte Phase eines halbfreien Aquifers ausgewertet wird.

Für die dritte Phase müssen die Absenkungen korrigiert werden, sofern hohe Absenkungsbeträge im Vergleich zur Mächtigkeit vorliegen:

s ' = s ( s 2 2 M )

Mathematische Lösungen

Boulton (1954, 1963): Es handelt sich um eine semi-empirische Lösung. Es wird der reziproke Drän- bzw. Sickerfaktor 1/D bestimmt. Dabei wird ein Verzögerungsindex α verwendet, der keine physikalische Eigenschaft beschreibt:

r D = r αS y T

Die Lösung nach Boulton wird daher hier nicht angewendet.

Neuman (1973, 1975): Die Lösung basiert auf physikalischen Aquiferparametern. Es wird der Parameter β bestimmt, der die Anisotropie kfv/kfh beschreibt.

β = r 2 k fv M 2 k fh

In diesem Kapitel wird die Modellfunktion nach Neuman behandelt, für die ein vereinfachtes graphisches Auswerteverfahren erläutert wird. Die mathematische Lösung ist sehr komplex und wird nur kurz dargestellt:

Fortsetzung folgt …