Auswertung von Pumpversuchen

Bei Pumpversuchen wird über eine längere Zeit aus einem Brunnen Grundwasser entnommen und gleichzeitig die Absenkung im Brunnen und gegebenenfalls in den umliegenden Messstellen beobachtet. Anhand der Absenkungsbeträge lassen sich die hydraulischen Eigenschaften eines Grundwasserleiters (Aquifertest) oder die Ergiebigkeit eines Brunnens (Leistungstest) ermitteln. Die Auswertung erfolgt graphisch (lineare Regression; Standardkurven) oder mit dem Computer (automatische Modellanpassung).

Um die Ergiebigkeit eines Brunnens zu ermitteln, wird die Entnahme stufenweise erhöht und die Absenkung im Brunnen nach Erreichen eines Stationären Zustandes gemessen (Kapitel „Brunnenausbau“)

Die Bestimmung der hydraulischen Eigenschaften eines Grundwasserleiters wird in den folgenden Kapiteln behandelt.

Zunächst werden die wichtigsten Begriffe erläutert.

Modelle

Die Auswertung von Pumpversuchen basiert auf Modellen, die ein vereinfachtes Abbild des Untergrundes darstellen. In der Hydrogeologie werden mathematische Modelle wie folgt angewendet:

 

Mathematische Modelle
analytisch
(kontinuierlich)
numerisch
(diskontinuierlich)
direktinversdirektinvers
Grundwasserhöhen
für homogene Aquifere
Auswertung von
Pumpversuchen,

Tracerversuchen
Grundwasserhöhen
für heterogene Aquifere
Kalibrierung der
Modellparameter,
z.B. kf-Werte

 

Analytisches Modell: Für die Anwendung analytischer Verfahren werden „einfache“ Modelle definiert, beispielsweise ein gespannter Aquifer mit konstanter Mächtigkeit und homogener kf-Wert-Verteilung. Für dieses Modell kann die Grundwasserströmung mit einer einzigen Gleichung beschrieben werden. Es existiert eine geschlossene Löung, mit der an jeder beliebigen Stelle und zu jedem Zeitpunkt die Grundwasserhöhe berechnet werden kann.

Numerisches Modell: Die Berücksichtigung einer heterogenen kf-Wert-Verteilung erfordert einen numerischen Ansatz. Dazu wird das Modell in einzelne Homogenbereiche unterteilt, besser „diskretisiert“. Die Grundwasserhöhe wird für diskrete Orte und für diskrete Zeitpunkte berechnet. Für jeden dieser Orte und Zeitpunkte wird eine Gleichung aufgestellt. Dieses Gleichungssystem mit n Gleichungen und n Unbekannten wird mit numerischen Verfahren gelöst.

Ein Parameter ist eine Kenngröße, der die physikalische Eigenschaft des Grundwasserleiters beschreibt.

Die Auswertung der Pumpversuche erfolgt auf Basis von Modellfunktionen. Dabei handelt es sich um analytische Gleichungen, die das entsprechende Modell mathematisch beschreiben. Modellfunktionen stellen einen Zusammenhang zwischen der „Ursache“ (Parameter z.B. Durchlässigkeit) und der „Wirkung“ (Grundwasserhöhe) her:

s ( t ) = f ( T , S , [ B , P , ] )

Die Berechnung der Grundwasserhöhen stellt ein „direktes Problem“ dar. Es werden bekannte Parameter in die Modellfunktion eingesetzt und die Absenkungen berechnet.

Umgekehrt ist die Berechnung der hydrogeologischen Eigenschaften aufwendiger. Es handelt sich um ein sog. inverses Problem, weil für eine bekannte Wirkung die unbekannte Ursache gesucht wird. Dabei ist es das Ziel, geeignete Parameter T, S, [B, P, …] zu finden, die in die Modellfunktion eingesetzt, die Messwerte bestmöglichst beschreiben.

Als Maß der Übereinstimmung wird die Summe der Abweichungsquadrate zwischen der gemessenen und der berechneten Absenkung gewählt:

q = i = 1 n ( s i, gemessen - s i, berechnet ) 2 = ! min

Eine bestmögliche Anpassung der Parameter ist gegeben, wenn die Summe der Abweichungsquadrate minimal ist.

Aquifertypen

Als grundlegende Modelle werden vier Aquifertypen unterschieden (Abb. 1). Folgende Annahmen werden getroffen:

  • Der Aquifer ist entweder seitlich unbegrenzt oder weist eine positive/negative Randbedingung auf.

  • Es handelt sich um einen homogenen isotropen Porengrundwasserleiter mit laminarer Strömung.

  • Der Brunnen ist vollkommen verfiltert; der Durchmesser ist unendlich klein.

a) gespannt

b) halbgespannt

c) halbfrei

d) ungespannt


Abb. 1: Grundlegende Aquifertypen für poröse Grundwasserleiter.

Es können Abweichungen von diesen grundlegenden Modellannnahmen bezüglich Verfilterung, Isotropie etc. berücksichtigt werden.

Gespannt: Die durchflossene Aquifermächtigkeit ist konstant und unabhängig von der Absenkung. Die obere und untere Begrenzung ist undurchlässig.

Halbgespannt: Der Aquifer wird von einer Aquitarde überlagert, deren Durchlässigkeit ca. drei 10-er Potenzen geringer ist. Mit zunehmender Absenkung ensteht eine Differenz zwischen den Grundwasserhöhen in der Aquitarde und im Aquifer, so dass ein Grundwasserzustrom aus der Aquitarde erfolgt. Bei entsprechend großer Absenkung und lateraler Ausdehnung des Absenkungstrichters kann der Zustrom genauso groß sein wie die Entnahmerate im Brunnen. In diesem Fall stellt sich ein stationärer Strömungszustand ein und  die Absenkung bleibt konstant.

Halbfrei: Die Durchlässigkeit der hangenden Schicht ist nur geringfügig geringer als die des Aquifers. Das Grundwasser ist zunächst gespannt (S ≈ 10-1) und bei zunehmender Absenkung frei (S ≈ 10-1). Die Erhöhung des Speicherkoeffizienten bewirkt eine Verschiebung der Absenkungskurve parallel zur Zeit-Achse nach rechts, so dass eine „verzögerte Entleerung“ die Folge ist.

Ungespannt: Die Obergrenze des Aquifers wird durch die Grundwasseroberfläche gebildet. Die durchflossene Mächtigkeit ändert sich somit in Abhängigkeit der Absenkung.

Erreichen des stationären Strömungszustandes

Zu Beginn des Pumpversuches wird zunächst die zeitabhängige Absenkung s(t) ausgewertet.

Nach einer bestimmten Zeit wird der stationäre Strömungszustand erreicht. Es besteht ein lateraler oder vertikaler Zufluss mit der gleichen Rate wie die Entnahme aus dem Brunnen. Die Absenkung bleibt konstant und es wird die Absenkung in Abhängigkeit des Radius s(r) ausgewertet.

Drei Ursachen für das Erreichen des stationären Strömungszustandes können unterschieden werden:

Vorfluter: Der Absenkungstrichter erreicht einen Vorfluter, aus dem die gleiche Menge infiltriert, wie am Brunnen entnommen wird.

Leakage: Bei einem halbgespannten Aquifer nimmt mit zunehmender Absenkung und lateraler Ausdehnung des Absenkungstrichters auch die Zustromrate aus der Aquitarde zu. Nach relativ langen Pumpzeiten ist die Menge der Zustromrate gleich der Entnahmerate.

Neubildung: Es liegt ein kontinuierlicher vertikaler Zufluss aus versickernden Niederschlägen und Vorflutern vor, der im Gegensatz zum halbgespannten Aquifer unabhängig von der Absenkung ist.

Reichweite des Absenkungstrichters

Die Reichweite des Absenkungstrichters in einem gespannten, halbfreien oder ungespannten Aquifer ist entsprechend den Modellannahmen unendlich. In der Natur gibt es immer eine endliche Reichweite des Absenkungstrichters, die wie folgt abgeschätzt werden kann:

Empirisch: nach Sichardt

R = 3.000 s k f

Dieses Verfahren ist sehr ungenau und gilt strenggenommen in gleichförmigen Sanden.

Näherungslösung: nach Dupuit-Thiem (Abb. 3d)

R = s · 2 π · T Q + ln ( r )

Es handelt sich um die linearisierte Näherung der exakten Modellfunktion nach Theis. Die Näherungslösung wird im Bereich der Reichweite ungenau. Erst durch diesen Fehler ergibt sich überhaupt rechnerisch eine endliche Reichweite.

Exakte Lösung: nach Theis (Abb. 3e)

s ( r ) = Q 4 πT u   e - x x  dx

Mit diesem Ansatz kann die Reichweite mathematisch exakt bestimmt werden. Allerdings ist es nicht möglich, die Gleichung explizit nach der Reichweite R aufzulösen. Daher muss für verschiedene Radien r die Absenkung s berechnet werden, wobei r solange erhöht wird, bis die Absenkung praktisch Null ist.

Korrektur der Absenkung bei einem ungespannten Aquifer

Bei Aquiferen mit ungespannter Grundwasseroberfläche nimmt mit der Absenkung auch die durchflossene Grundwassermächtigkeit ab. Außerdem erhält die Grundwasserströmung eine vertikale Komponente. Unter der Annahme, dass auch bei ungespannten Aquiferen der Brunnen horizontal angeströmt wird, kann ein exakter mathematischer Zusammenhang zwischen den Absenkungen eines ungespannten und eines gespannten Aquifers hergestellt werden.

Korrektur ungespannt → gespannt: für die Auswertung eines Pumpversuches (inverse Fragestellung) in einem ungespannten Aquifer werden zunächst die gemessenen Absenkungen s korrigiert.

s ' = s - s 2 2 H
s:gemessene Absenkung (ungespannt)
s':korrigierte Absenkung (gespannt)

Mit den korrigierten Absenkungen s' werden anschließend die Modellfunktionen für gespannte Aquifere angewendet:

Korrektur gespannt → ungespannt: umgekehrt, wenn beispielsweise die Grundwasserabsenkung in einer Baugrube prognostiziert werden soll (direkte Fragestellung), werden zunächst Absenkungen s' für einen gespannten Aquifer berechnet, die anschließend für einen ungespannten Aquifer „zurück­korrigiert“ werden:

s = M - M 2 - 2 M · s '
s:zurückkorrigierte Absenkung (ungespannt)
s':berechnete Absenkung (gespannt))

Messung der Absenkung im Brunnen

Falls keine Messstellen zu Verfügung stehen, muss die Absenkung im Brunnen gemessen werden. Dies ist bezüglich der Auswertung problematisch, da nach der Modellannahme der Brunnendurchmesser unendlich klein ist und die Absenkung im Brunnen unendlich groß.

In diesem Fall wird ein „effektiver“ (Brunnen-) Radius re vorgegeben, der allgemein zwischen Brunnenradius und dem Radius der äußeren Kiesschüttung liegt (Abb. 2). Die Transmissivität ist in Näherung unabhängig vom Radius und kann somit hinreichend genau bestimmt werden. Im Gegensatz dazu können Speicherkoeffizient und gegebenenfalls weitere Parameter wie Randbedingungen und Leakagefaktor nur sehr ungenau bestimmt werden.

Eine Variation des Radius oder des Speicherkoeffizienten bewirkt eine Verschiebung der Modellfunktion parallel zur Zeit- oder Radius-Achse. Da für ungespannte Aquifere der Speicherkoeffizient gleich des speichernutzbaren Hohlraumanteils ist, der gegebenenfalls abgeschätzt werden kann, kann der effektive Radius solange variiert werden, bis ein Speicherkoeffizient berechnet wird, der gleich dem speichernutzbaren Hohlraumanteils ist.

Abb. 2: Effektiver Brunnenradius re.

Vergleich der wichtigsten Auswerteverfahren

In Abb. 3 sind typische Absenkungskurven in Abhängigkeit der Zeit a-c und in Abhängig des Radius d-f halblogarithmisch aufgetragen.

Absenkung - ZeitAbsenkung - Radius
Lineare
Modellfunktion

a) Cooper Jacob

d) Dupuit Thiem
Nichtlineare
Modellfunktion

b) Theis

e) Theis
Nichtlineare
Modellfunktion

c) Hanstush; Stallman

c) Hanstush; Stallman

Abb. 3: Allgemeiner Verlauf der Absenkung (s→t, s→r) eines Pumpversuches, der einen quasistationären Zustand erreicht – Auswertung mit verschiedenen Verfahren.

Die zeitabhängige Absenkung kann in drei Phasen gegliedert werden: Die Absenkung setzt verzögert ein (1. Messwert). Anschließend verläuft die Absenkung in der halblogarithmischen Darstellung angenähert linear (2.-4. Messwert). Zuletzt nähert sich die Absenkung einem konstanten Wert (5. Messwert).

Es liegt offensichtlich ein Zufluss vor, da der Pumpversuch mit dem letzten Messwert quasi-stationär wird. Die Absenkung kann mit der Modellfunktion nach Hantush, halbgespannter Aquifer, beschrieben werden

s ( r , t ) = Q 4 π T u   1 x   e ( x r 4 B x )  dx

oder mit der Modellfunktion nach Stallmann, gespannter Aquifer mit positiver Randbedingung (Abb. 3c)

s ( r , t ) = Q 4 πT [ u r   e - x x dx ± u i   e - x x dx ]

Der Zufluss wirkt sich erst ab dem 5. Messwert aus und kann für die ersten 4 Messwerte vernachlässigt werden. Für diese Messwerte kann daher auch die Modellfunktion nach Theis, gespannter Aquifer, angepasst werden (Abb. 3b).

s ( r ) = Q 4 πT   u   e - x x  dx

Bei diesen Modellfunktionen handelt es sich um nichtlineare Gleichungen (die partiellen Ableitungen sind abhängig von den Parametern), so dass die Bestimmung der Parameter (nichtlineare Inversionsrechnung) sehr aufwendig ist. Um die Auswertung zu vereinfachen, wird häufig statt der exakten Modellfunktion nach Theis auch die linearisierte Näherung nach Cooper-Jacob angewendet. Die Näherung wird für kleine Zeiten ungenau, so dass diese Modellfunktion nur für den 2.-4. Messwert angepasst werden kann (Abb. 3a).

s i = Q 4 πT   [ - 0,5772 · ln ( u ) ]

Die entfernungsabhängige Absenkung kann in zwei Phasen gegliedert werden. Die Absenkung verläuft in der halblogarithmischen Darstellung angenähert linear (1.-4. Messwert). Die Absenkung geht gegen Null (5. Messwert). Mathematisch handelt es bei dem letzten Messwert um die gleiche Krümmung wie zu Beginn bei der zeitabhängigen Darstellung.

Die Modellfunktionen nach Hantush, Stallmann oder Theis verlaufen angenähert gleich (Abb. 3e und 3f), wobei nur bei der Modellfunktion nach Stallmann der Absenkungstrichter eine endliche Reichweite aufweist.

Die Modellfunktion nach Dupuit-Thiem ist die gleiche Näherungslösung wie die Cooper-Jacob-Funktion (Abb. 3d). Sie wird für große Radien ungenau und schneidet in der halblogarithmischen Darstellung als Gerade die x-Achse. Erst durch diesen mathematischen „Fehler“ ergibt sich überhaupt eine endliche Reichweite des Absenkungstrichters.